Lokale Ordnungen mit Schärfentiefe

Sag mir ein Gedicht daher
und ich will dich fragen, wer
diese Zeilen einstmals schrieb,
komm! sag es mir, ach, sei so lieb.

Stenkamp #

Lyrik ist keine Wissenschaft und eine Wissenschaft für sich, hat sehr viele Lehrerinnen, Lehrer und Lehren, gleichwohl ohne wirkliche Erklärungen für Andersdenkende.

        - Nichts ist ohne Grund
        Nichts - ist ohne Grund
        Nichts ist - ohne Grund
        Nichts ist ohne Grund -

Doch glücklicherweise gibt es ja weitere Wissenschaften, sogar welche, die sich mit Lyrik allgemein oder mit Gedichten insbesondere beschäftigen. Wir geben hier als Belege und zum Weiterforschen manche von uns verwendete Literatur wider, eine interessante Lektüre wünschend, Ihre Lyrik-Laboranten -
(Auflistung in alphabetischer Reihenfolge der AutorInnen, Erscheinungsjahr; Titel)

“Eigenwillig und schwermütig, wenn nicht düster, ist die christliche Lyrik von Christine Lavant (1915). Der Weg zu Gott führt nach Auffassung der Dichterin durch Marter und Qual hindurch, das Leid ist notwendig für das Heil und die Erlangung einer sittlich religiösen Lebensanschauung. Unorthodox und eigenartig ist ihr katholischer Glaube. Die ersten Gedichtbände enthalten verschlüsselt ihre persönliche Not (‘Die unvollendete Liebe’ 1949; ‘Die Bettlerschale’, 1956), dann werden ihre Verse zunehmend freier und unerschrockener (‘Spindel im Mond’, 1959; Wirf den Lehm ab, 1961; ‘Der Pfauenschrei’, 1962). Ihre Verlassenheit spricht sie einfach und direkt, fast derb-wahrhaftig aus, nicht im abstrakten Stil der Existenzphilosophie. Beispielhaft hierfür ist das Gedicht ‘Zieh den Mondkork’ (aus: ‘Spindel im Mond’), das in der Form durchaus traditionell ist.
[Hier folgt das Gedicht]
Die Struktur ist völlig konventionell - fünf Vierzeiler, umgreifend gereimt, fünfhebige Trochäen, doch die Ausdrucksweise ist keineswegs altmodisch, sondern neuartig und befremdend. Und inhaltlich werden unfromme, empörerische Fragen gestellt. ...”

aus: Büttner, Ludwig, 1971, Von Benn zu Enzensberger. Eine Einführung in die zeitgenössische deutsche Lyrik 1945 - 1970, Nürnberg, 29

“Daß das Leben ernst und die Kunst heiter sei, ist ein fragwürdiger Satz, dessen Urheber man immerhin zugutehalten mag, daß er strikt zwischen beiden unterscheidet. Wirklich ernst für den Künstler wird es, wenn sein Publikum diese Scheidung nicht mehr zu vollziehen in der Lage ist und Werke der Kunst für bare Münze nimmt, wenn es sie als Dokument mißversteht oder als Psychogramm, als Meinungsäußerung oder als Lebenshilfe. Häufen sich solche Fehldeutungen, läßt das zwei Schlüsse zu Entweder liegt der Fehler beim Kunstproduzenten, der es nicht verstanden hat, sein Kunstwerk künstlich genug zu gestalten, oder er ist beim Kunst-Rezipienten zu suchen, der nicht in der Lage ist, einem Werk der Kunst mehr zu entnehmen , als was auf der platten Hand liegt: den Inhalt
Meine Erfahrungen legen es nahe, den Schwarzen Peter beim Publikum zu vermuten."

aus: Gernhardt, Robert, 2010, Was das Gedicht alles Kann: Alles. Texte zur Poetik, Frankfurt/M., 132

„Die einzige Einschränkung, der die Freiheit der modernen Lyrik unterworfen ist, besteht darin, dass sie weiterhin danach trachtet, als Lyrik geschrieben, veröffentlicht, anerkannt und gelesen zu werden. Einen weitergehenden Zweck setzt sie sich nicht. ‚For poetry makes nothing happen: it survives / in the Valley of saying‘ (Denn Poesie lässt nichts geschehen: sie erhält sich / im Tal ihres Sagens), konstatiert W. H. Auden In Memory of W. B. Yeats. Die moderne Poesie glaubt nicht mehr an den Zweck, mit Hilfe lyrischer Sprechhandlungen ‚something happen‘ zu machen, erinnert sich jedoch noch an dieses frühere Aufgabenstellung und muss sie daher ausdrücklich als überholtes Vorurteil zurückweisen. Um sich dennoch zu ‚erhalten‘, beansprucht die moderne Lyrik Autonomie: sie sei frei von äußeren Zwecken und beschränke sich auf das Herstellen von Texten in Verszeilen. ‚Die Kunst verwandelt die Mittel und macht sie zu einem Zweck‘ – nicht für die Kunst aller Zeiten, erst für die | moderne gilt dieser Satz Valérys. Da die Mittel der modernen Lyrik nicht mehr Mittel, sondern – mangels eines externen Zwecks – interner Selbstzweck sind, ist das von seinen veralteten Aufgaben befreite Gedicht in der Tat autonom, absolut, ‚poésie pure‘. Wenn Prospero am Ende des Tempest auf seine Zaubermacht verzichtet, gibt er auch sein Werkzeug, Ariel, frei. Ariels Lied preist das heitere Leben, das er führen wird, sobald er keine Pflichten mehr zu erfüllen hat:

      Merrily, merrily shall I live now
      Under the blossom that hangs on the bough.
      (Lustiglich, lustiglich leb‘ ich nun gleich,
      Unter den Blüten, die  hängen am Zweig)

Frei, für sich, reine Poesie wird Ariel sein. Die Aufgaben der Lyrik haben sich erledigt, das Gedicht lebt weiter.“
Schlaffer, Heinz, Geistersprache. Zweck und Mittel der Lyrik, 2015, Stuttgart, 200|f

 

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