Kann denn Liebe so verwirrend sein?

Die beieinander, ja, ineinander liegende Gegensätzlichkeit von Blau und Gelb führt Schwitters auch in der nächsten Zeile an Anna Blume fort: „Rot ist das Girren deines grünen Vogels“. Damit wird es sogar noch ein Stück heikler. Denn der Gegensatz von Schein und Sein verwandelt sich, beim Sprechen wie beim Gezwitscher, all zu leicht in den vom Gesagten und Gemeinten.

Diese Unterscheidung schafft allerdings einen Zwiespalt, der jegliche Sprachmagie (be)trifft, das Unsterbliche der Worte, in ihrem Innersten; beinahe tödlich.

    Das muss und wird nicht jedem gefallen.

Aber unsterblich bedeutet an dieser Stelle: Das Wort war unter uns, ist Fleisch geworden, zugrunde gegangen und, für uns: wieder auferstanden!
Das offenbart unsere Unzulänglichkeit gegenüber der Sprache als Sprecher. Das Sagen-können und Meinen-wollen fallen unendlich auseinander und doch, auf der anderen Seite, wieder in eins. So offenbart es zugleich unsere Überlegenheit. Sowohl als auch folgerichtig hieße dann: „ich bin dir grün“, „ich geb dir Rot“. Eine tiefste Liebeserklärung in Signalfarbe aus dem Sein heraus.

Kommen wir also zurück zur schlachtenden Ausschlachtung, sie soll das einzige sein, wozu wir fähig sind?! Vielleicht, doch Schwitters wesentliche Forderung ist die Vollständigkeit. Nicht irgendeine Vollständigkeit, sondern die des Lebens und das heißt: die des Leben gebens und die des Leben nehmens.
Gesagt und gemeint, aber wie? Denn insbesondere letzteres wird auch als verharmlosende Umschreibung für Mord verwendet, was richtiger das Leben entfernen hieße; denn direkt aneignen lässt sich doch allenfalls das eigene.

So verkehrt die obige Formel, sich selbst sein Leben zu nehmen, die Aufforderung in eine zur blühenden Entfaltung statt zum Selbstmord. Beides mag dabei um Haaresbreite beieinander liegen, wie Blau bei Gelb, wie Sein bei Schein.
Das ist ein wahrlich heftiger Befund. Er schreckt auf, weckt (wahrscheinlich) Ängste, vielleicht wie vor den Geburtswehen; aber vor denen, durch die der Embryo durchlebt um zum Säugling zu werden, nicht vor denen, die wir bei der Geburt unserer eigenen Kinder an unseren Engstellen erfahren.

Unsere Sprache weiß um die Notwendigkeit, für diese Entfaltung aus sich selbst herauszutreten, in Ek-Stase zu geraten. Die Aufforderung zur Entfaltung wird nämlich zwingend ergänzt, und zwar um die Hand. Nimm dein Leben – selbst in die Hand, – trotz aller Angst; so wird eine Formel, eine gedankliche Figur daraus. Schwitters Form der Ausschlachtung verweist daneben und darüber hinaus darauf, dass dies, durchgeführt, keine gedankliche Figur bleibt sondern an die Substanz geht. Genau deshalb sollten wir uns liebevoll ausschlachten, mit dem einzigen „Gefühl für Liebe“, dessen wir überhaupt fähig sind‘.

„Nein, das kann nicht sein!“

fangen wir an zu schreien.
Was wir heftig so nicht wollen,
dem gesteh‘n wir auch kein Sollen,
Müssen oder Dürfen.
Wir kochen unsere Suppe zwar,
doch weigern wir uns,
sie zu schlürfen;
das ist die Nahrung nicht, der wir bedürfen.

Wie ich weiß, *
ist es viel zu heiß!
So meinen wir und unterlassen diese schwere halbe Tat.
Und wenn der Sprung auch nur gelingen kann in einem, großen, **
wir bleiben lieber stehen, bei den kleinen.
“Wir woll‘n so bleiben, wie wir sind!”
“Ihr dürft!” dröhnt dunkel dafür die Absolution,
„Denn Nichts rettet euch über die Zeit.“ ***

Stenkamp, #

Eine Hoffnung, die auch das folgende Gedicht ausdrückt: zum nächsten Gedicht >>>>

 

Liebe/Verwirrung

Das Lyrik-Lab
vernetzt sich
 

Les-Djembistes-Perlen-Krokodil_03_web_klein
Les Djembistes

Makoi_Link-Logo_webMAKOI

LyLaRuhr_Link-Button_03_txt

Schul-Lyrik-Button

Umbau-Logo Lyrik-Lab 2016 b nst 196
Aktuellster Beitrag