Vom Wort zum Bild oder vom Bild zum Wort?

Mein Lyrik-Lab ist eine Entdeckungsreise unterschiedlicher Möglichkeiten, die lyrische Kunst und deren Verweise bieten. Ähnlich wie der reine Umgang mit Sprache kann auch ein Zusammenhang zwischen Bild und Wort, zwischen Eindruck und Ausdruck mit der Lyrik verquickt sein. Da das Lyrik-Lab eine experimentelle Plattform ist, die sich keiner Form der Kunst verschließen möchte, welche sich als anschlussfähig erweist, wird in diesem Bereich speziell Bezug auf Zusammenhänge zwischen Wort, Klang, Tanz, Bühnenkunst und Bild genommen. Im Speziellen widmet sich dieser Zweig des Lyrik-Labs den Verwobenheiten von Bild und Lyrik.

Text und Klang

Die Lyrik ist eine der frühen Formen literarischer Kunst. Bereits die alten Chinesen, Perser, Juden und Babylonier kannten die Lyrik und setzten sie ein. Der heute verwendete Begriff ist allerdings im altgriechischen Kulturkreis verwurzelt und bezeichnet das zur Lyra gesungene Lied. Historische Begriffsabgrenzungen verweisen darauf, dass lyrische Texte sich von der Prosa oftmals durch ihre äußere Form, wie Vers, Versmaß oder Strophenbau unterscheiden. Doch dieses Kriterium hat sich im 20. Jahrhundert relativiert und aufgeweicht. Eine besondere Rolle in der Lyrik spielen jedoch nach wie vor die lautlichen Qualitäten verwendeter Wörter und verweisen damit auf die Beziehung der Lyrik zur Musik und zum Lied.

Damals wie heute wird Lyrik immer wieder auch von der Musikkultur beeinflusst. Es gibt ein Austauschverhältnis zwischen Lyrik und Musik. Als ein modernes Beispiel ist die Rap/Hip-hop-Bewegung zu nennen, die eine enge Verbindung zum Poetry Slam gefunden hat, die als Veranstaltungsform für Literatur-Performances steht. Dabei stehen die Vortragenden im direkten Vergleich, indem sie mit- oder nacheinander antreten und das Publikum schließlich einen Gewinner kürt. Ein weiterer Verweis sei hier zu den mit der Rap-Musik verbundenen Tanzrichtungen gegeben, von denen der Break-Dance die bekannteste Form darstellt. Neben dem Rap fand jedoch auch die Kurzgeschichte in Form der komischen Lyrik ihren Weg auf die Bühne und stellt so eine weitere Verbindung zwischen Lyrik und Bühnenkunst dar.

frei und schlecht

ich bin frei und mir ist schlecht.
warum sollte mir nicht schlecht sein?
freilich sollte mir schlecht sein,
und es ist mir auch schlecht.
es könnte mir allerdings auch
nicht schlecht sein.
dann würde ich sagen: ich bin frei
und mir ist nicht schlecht.
Jandl #

Sichtbare und verborgene Form

Das inhaltliche Spektrum der Lyrik reicht von Gedichten von stark subjektiven Inhalten bis hin zu Gedichten der Neuen Sachlichkeit. Es gibt Liebesgedichte, Trauergedichte genauso wie Willkommensgedichte, Ulk- und Nonsensgedichte. Damit ist die die Gattung Lyrik im Hinblick auf Inhalt und Form äußerst vielgestaltig. Bei lyrischen Texten werden oft sehr viele sprachliche und formale Mittel als Ausdrucksmittel nutzbar gemacht. Hier sind beispielsweise Reim, Rhetorische Figur, Alliteration, Metapher zu nennen. Ebenfalls spielt die nicht alltägliche Anordnung von Wörtern, Wortgruppen und Sätzen eine Rolle. Doch neben offenen Form-Merkmalen können Merkmale eines Gedichtes ebenfalls verborgen sein. Es kann zum Beispiel eine bestimmte Silbenzahl einer Zeile festgelegt sein, oder es können an bestimmten Positionen im Gedicht bestimmte Buchstaben gefordert werden.

Linguistisch orientierte Lyriktheorien fassen einen lyrischen Text als überstrukturierten Text auf. Bezogen auf die in der Sprachwissenschaft angenommenen Ebenen wie Phonologie, Semantik oder Syntax, werden Reime als phonologische Überstrukturierung aufgefasst oder Metaphern als semantischee

Figur und Gedicht

Zudem gibt es jedoch auch eine enge Verbindung der Lyrik zur graphischen Gestalt. Als Beispiel sei hier die Figurengedichte angeführt. Ein Figurengedicht, auch Kaligramm genannt, ist ein Gedicht, welches nicht nur als „literarischer Text“ fungiert, sondern darüber hinaus auch noch in optischer Hinsicht eine weitere Bedeutungsebene aufbaut, zum Beispiel durch die Formung des Textkörpers selber. Diese Art der Textköperformung ist bereits seit der Antike bekannt. Als unmittelbare Vorläufer gelten neben Gittergedichten aus Ägypten auch altgriechische Technopaignia. Sogar Zauberformeln oder Inschriften wurden in kunstvoller Form geschrieben bzw. gezeichnet.

Ihre größte Blütezeit erlebten die Figurengedichte in der manieristischen Lyrik des Barock. Doch auch christliche Denker der Spätantike und des frühen Mittelalters verfassten Figurengedichte in Form von religiös inspirierten Gittergedichten. Dabei bestanden die Gittergedichte aus einem Buchstabenraster, bekannt aus heutigen Wortsuch-Rätseln in Zeitschriften. „In-Texte“ mit besonders bedeutungsvollen Aussagen wurden dabei in diesem Raster hervorgehoben und hatten häufig die Form eines Kreuzes oder eines anderen christlichen Motivs.

Hierzu dient die Greiffenbergsche Handschrift zum Figurengedicht in Kreuzform als bestes Beispiel. Oftmals war die Anzahl der verwendeten Buchstaben auf zahlenmystische Überlegungen zurückzuführen, so dass in einem einzigen Figurengedicht oftmals mehrere Sinnebenen zu finden sind.

Vexierbilder

Sogenannte Vexierbilder zeigen ebenfalls starke Bezüge zwischen Text und Bild. So  waren im späten Mittelalter ähnlich den sogenannten Vexierliedern die Vexierbilder eine Möglichkeit der Zeichner einen Missstand aufzuzeigen oder eine satirische Überspitzung zeichnerisch darzustellen, ohne sofort eine Strafe fürchten zu müssen. Als Elemente der Vexierbilder konnten Buchstaben ebenso wie andere Elemente der Bildgestaltung dienen. Die Vexierbilder dienten oft der Belustigung, indem man durch Drehen etc. eine andere Bedeutung des Gezeichneten wahrnehmen konnte. Der Schriftsteller Franz Kafka schrieb in seinem Tagebuch 1911 "das Versteckte in einem Vexierbild sei deutlich und unsichtbar. Deutlich für den der gefunden hat, wonach zu schauen er aufgefordert war, unsichtbar für den, der gar nicht weiß, dass es etwas zu suchen gilt.”

Harbusch; Wittkop #

In anderen Sprachen (engl., frz. etc.) wird Vexierbild einfach mit einem Rätsel- oder Suchbild gleichgesetzt.
Hierzu der Verweis auf z.B. „Mann oder Gebirge?“ Ein Bild von Wenzel Hollar und andere Beispiele im Internet.

Der Bezug zu verschiedenen Sinnebenen erinnert an die Bewegung des Surrealismus in der Literatur und der bildenden Kunst, die in der Nachfolge von Dada um 1920 in Paris entstand. Ziel war es beim Surrealismus, das Traumhafte  und Unwirklich sowie die Tiefen des Unbewussten auszuloten und den durch die menschliche Logik eingegrenzten Erfahrungsbereich über das Phantastische und Absurde zu erweitern. Wörtlich bedeutet das Wort „Surrealismus“ „über dem Realismus“. So wirkt etwas, das als surreal bezeichnet wird, traumhaft im Sinne von unwirklich. Die ursprünglich surrealistische Bewegung suchte die eigene Wirklichkeit des Menschen im Unbewussten und verwertete Rausch- und Traumerlebnisse als Quelle der künstlerischen Eingebung. Geltende Werte werden umgestürzt, um die Sichtweise global zu erweitern. Die Surrealismus-Bewegung ist daher eine anarchistische, revolutionäre Kunst- und Weltauffassung. Hierzu siehe auch Gedicht aus den Calligrammes von Guillaume Apollinaire.

Beeinflusst vom Symbolismus, Expressionismus, Futurismus, den Schriften Lautréamonts, Alfred Jarrys und den Forschungen Sigmund Freuds stellt der Surrealismus eine nichtrationale und die Gefühle betonende Welt des Traums in den Vordergrund, lehnt jedoch logisch-rationale „bürgerliche“ Kunstauffassungen radikal und provokativ ab. Der Surrealismus verbreitete die Befreiung der „Wörter“ und eine Ästhetik der „kühnen Metapher“. Hier kehren wir zurück zur Ausdrucksform des Kaligramms, welches einen ebenfalls surrealistischen Charakter haben kann und eine Form der Lyrik darstellt. Guillaume Apollinaires Beispiel verdeutlicht diesen Zusammenhang anschaulich.

Experimentell

Bildkunst hebt demnach genauso wie Sprachkunst auf unterschiedliche Sinnebenen ab und bildet miteinander verwobene Hintergründe menschlichen Ausdrucks. Dem auf der Spur bewegt sich dieser Teil des Lyrik-Labs und experimentiert mit Bild, Wort, Lyrik und Kunst.

Sandra

zu den Beispielen>>

 

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